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Fake News
Nichts als die (Un)Wahrheit

Kvadrifrons - Fake News
Foto: Artūrs Stiebriņš

Wahr, unwahr, Halbwahrheit oder Lüge? Als Nachrichten findet sich im Internet unterschiedslos alles Mögliche und Unmögliche nebeneinander. Doch wo liegen die Grenzen der Wahrheit? Die Theatergruppe Kvadrifrons versucht sie auszuloten

Von Alexander Welscher

Was man im Internet und anderen Medien nicht so alles lesen kann: In Lettland ist ein Meteorit eingeschlagen und hat einen riesigen Krater erzeugt. Riga wird von einer Invasion giftiger Spinnen heimgesucht. Und nicht zu vergessen natürlich, dass unter lettischen Lesern „Mein Kampf“ angeblich beliebter ist als „Harry Potter“. All diese Fake News haben sich in den vergangenen Jahren oder Monaten als Nachrichten über klassische Medien und soziale Netzwerke verbreitet. Sie wurden geklickt, gelesen, geliked, geteilt. Tausendfach. Und noch immer geistern sie durchs Netz. Dabei sind sie schlicht erlogen.
 
Die Absicht hinter diesen wissentlich gefälschten oder erfundenen Geschichten ist so simpel wie wirksam: Desinformation streuen, Unsicherheit und Misstrauen schüren. Das Problem dabei ist, dass heutzutage beinahe alles denkbar erscheint und gezielt gestreute Gerüchte oder Falschmeldungen sich in Windeseile verbreiten können. Permanent wird man mit Nachrichten konfrontiert, die früher unglaubwürdig waren. Heute stimmten manche davon aber. Umgekehrt geraten echte Nachrichten unter Fake-News-Verdacht.
 
Doch was ist richtig und wahr, was konstruiert und erfunden? Diesem Dilemma nimmt sich die Theatertruppe Kvadrifrons in einer neuen Inszenierung an. Mit der Aufführung „Fake News“, die Mitte November ihre Premiere im Rigaer Zirkus feierte, will das Team um Regisseur Klāvs Mellis und Dramaturg Evarts Melnalksnis, den Graubereich der zunehmend verwischenden Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Information und Desinformation, zwischen echten  und "alternativen" Fakten, zwischen Tatsache und Fälschung aufzeigen.
 
„Der Unterschied zwischen echten und gefälschten Nachrichten ist sehr fragil und subjektiv, weil die Einstellung oft durch unser Wertesystem oder ähnliches bestimmt wird. Daher ist es ziemlich schwierig und sogar ziemlich arrogant zu sagen – schau mal, das sind die Fake News, aber das ist die Wahrheit“, sagte Mellis vor der Premiere im lettischen Rundfunk. „Deshalb werden wir sie in unserer Aufführung sie in irgendeiner Weise mischen, zusammen wirken lassen. Und wir werden sie auch nicht kommentieren, so dass die Zuschauer selbst versuchen zu verstehen, welche von diesen Nachrichten wahr sind und welche nicht.“

Vielschichtig und unterhaltsam

Sich mit Fake News und konstruierten, erfundenen Wahrheiten künstlerisch  und auf spielerische Weise auseinanderzusetzten, ist nicht einfach und ein mutiges Unterfangen. Doch dem Team um Regisseur Mellis und Dramaturg Melnalksnis gelingt ein modernes, sehenswertes Stück. Die minimalistische Inszenierung überzeugt mit Witz und Tempo. Die etwa einstündige Aufführung vergeht förmlich wie in Flug – nicht zuletzt auch wegen eines manipulativen Tricks mit der auf der Bühne angezeigten Uhrzeit. Gezeigt wird kein klassisches Theaterstück, sondern vielmehr agieren die vier Schauspieler als Art Geschichtenerzähler und erwecken die Fake News zum Leben. Präsentiert werden sie in vier Blöcke, in die jeweils ein Darsteller mit einer eigenen persönlichen Geschichte eingeführt. Ob diese wahr sind oder nicht, bleibt unklar – wie so vieles in der Aufführung. 
 
Im Wettkampf um die Gunst des Publikums überbieten sich die auf einer Couch nebeneinander sitzenden Schauspieler anschließend mit grotesken Geschichten und reißerischen Meldungen, die sie engagiert und ausdrucksstark auf der Bühne rezitieren. Dabei können sie sich gegenseitig mit einer Tischglocke unterbrechen, wenn sie zu einem erwähnten Schlagwort etwas auf Lager haben, das sie um jeden Preis zum Besten geben wollen. Bedienen können sie sich dazu an einem Fundus an Bücher, Zeitschriften und losen Blättern, der auf einem Tisch vor ihnen ausgebreitet ist. Die Aufführung endet mit einer Tanzperformance – dem sogenannten „Wahrheitstanz“, der in zuvor in drei kleinen Pausen live auf der Bühne einstudiert wurde.
 
Erinnert das Ganze anfangs noch etwas an Improvisationstheater, erscheint die Inszenierung schon bald wie ein schnelles, endloses Scrollen und suchtartiges Hetzen durch belanglose Beiträge und 140-Zeichen-Geschnatter auf Social-Media-Plattformen. „Die Aufführung veranschaulicht sehr gut, dass man eigentlich ständig im ganzen Leben von überall her mit Fake News bombardiert ist“, meint Premierengast David Schilter, Redakteur und Herausgeber des Comic-Magazins “Kuš!”.

Endlose Fülle aus Absurdem aus allen möglichen Zeiten

Gesammelt, analysiert und ausgewählt wurden die vorgetragenen Nachrichten von Kvadrifrons-Kreativteam und der Lettischen Kulturakademie. Schöpfen konnten zwei männliche und zwei weibliche Schauspieler aus einem Pool von Hunderten von Nachrichten voller Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen, die im sogenannten postfaktischen Zeitalter zuhauf im Internet kursieren. „Wir haben grundsätzlich nach Nachrichten auf Lettisch gesucht, und uns die russischen Desinformationskampagnen angeschaut”, erklärt Melnalksnis.
 
Neben den eingangs erwähnten Fake News sind die Theatermacher dabei natürlich auch auf fabrizierte Nachrichten und (Un-)Wahrheiten zu Personen wie US-Präsident Donald Trump, seinem russischen Gegenpart Wladimir Putin, Investor und Philanthrop George Soros sowie Klima-Aktivistin Greta Thunberg gestoßen. Aber auch Bibelgeschichten, mittelalterliche Legenden, urbane Mythen, Pseudomedizin, Sex-Geschichten und Spam-Emails dürfen nicht fehlen. Selbst eine absurde Kleinanzeigen aus Deutschland war bei der Erstaufführung dabei: „Tausche Wohnung gegen Loch in der Berliner Mauer.“
 
Oft waren es gerade sehr einfache, geradezu plump gemachte Nachrichten und völliger Unsinn, die auf die größte Resonanz bei den Zuschauern stießen und etwa für lautes Lachen sorgten. Schwieriger zu entschlüsseln dagegen waren für das Publikum die Nachrichten, die nur sehr schwer objektiv zu bewerten sind, um sie zweifelsfrei als wahr oder falsch einstufen zu können. Denn es gibt viele Grautöne zwischen Weiß und Schwarz, zwischen Wahrheit und Lüge. Und genau das ist es, was Kvadrifrons mit „Fake News“ veranschaulichen wollen.

Diskursiv und konfrontativ

Dies gelingt durchaus eindrucksvoll. Die Zuschauer spendeten der kurzweiligen Inszenierung begeisterten Applaus – trotz ihres für das lettische Publikum eher ungewohnten diskursiven Ansatzes. „Mir gefällt sehr, wie in jedem Aspekt der Aufführung das Konzept von Fake News umgesetzt wird, einschließlich des Bühnendesigns. Dies spiegelt meiner Meinung nach sehr gut wider, wie die gegenwärtige Medienlandschaft mit unserem Gehirn arbeitet”, meinte der Regisseur und Filmproduzent Matīss Kaža nach der Premiere. „Ein großer Teil unserer Gesellschaft ist ziemlich unkritisch, wie sie die Informationen verarbeitet, die sie online konsumiert. Daher denke ich, dass diese Inszenierung in gewissem Sinne sehr konfrontativ ist. Und sie ist es auf eine sehr anregende und theatralische Weise, bei der erst in späteren Phasen der Aufführung erkennbar wird, wie sie das Publikum manipuliert“
 
Auch von Theaterkritikern wird die weiter noch an mehreren Terminen im Dezember und Januar gezeigte Aufführung überwiegend positiv aufgenommen. „Unterhaltsame Fehlinformationen“, schreibt etwa das Theaterportal „kroders.lv“ – und gibt damit den Tenor wieder, der auch in anderen lettischen Medien vorherrscht. Vereinzelt wird allerdings bemängelt, das Fake News zu stark vereinfacht und unnötig verallgemeinert werde. Damit könne das Stück keine Diskussion anregen, weil es der Wichtigkeit und Komplexität des Themas nicht gerecht werde.
 

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